Die calanoiden Copepoden des östlichen Weddellmeeres, Antarktis: Saisonales Vorkommen und Lebenszyklen dominanter Arten
ZusammenfassungIn der vorliegenden Arbeit wird die calanoide Copepodengemeinschaft des öst-lichen Weddellmeeres beschrieben. Das Material wurde während fünf "Polar-stern"-Expeditionen gesammelt, die im Winter (Juli/August 1986), Spätwinter/ frühen Frühjahr (Oktober/November 1986), Frühjahr (Dezember 1992), Sommer (Januar/Februar 1985) und Herbst (April/Mai 1992) stattfanden. Die saisonalen Unterschiede in Individuenbestand, Biomasse, Vertikalverteilung, Artenzahl, Diversität und Äquität sowie die Lebensstrategien der dominanten Arten werden dargestellt und diskutiert.Die taxonomische Aufarbeitung ergab 41 Gattungen und 19 Familien. 65 Arten konnten identifiziert werden, fünf weitere konnten nicht artgemäß zugeordnet werden. Drei Tiefseearten (Mimocalanus nudus, Pachyptilus pacificus, Teneriforma meteorae) und zwei Gattungen (Disco, Temoropia) wurden erst-mals im Südpolarmeer nachgewiesen. Die meisten der gefundenen Arten haben ein weitverbreitetes Vorkommen. Nur 18 Arten sind typisch antarktische/sub-antarktische Vertreter. Im östlichen Weddellmeer dominieren herbivore und omnivore Arten die calanoide Copepodengemeinschaft und stellen 99% der Abundanz und 91% der Biomasse.Abundanz, Biomasse, Artenzusammensetzung und Vertikalverteilung der calanoiden Copepodenfauna im östlichen Weddellmeer sind durch ausgeprägte jahreszeitliche Unterschiede gekennzeichnet. Im Sommer kommen die meisten Arten in größeren Abundanzen vor und haben ihren Verbreitungsschwerpunkt in höheren Wasserschichten als im Winter. In den oberflächennahen Wasser-schichten herrschen nur wenige Arten vor. Ihre Abundanz und Biomasse ändert sich saisonal stark mit höchsten Werten zwischen Frühling und Herbst. In größeren Wassertiefen finden sich durch das Auftreten weitverbreiteter Tief-wasserarten die höchsten Artenzahlen. Im Winter treten Abundanz- und Biomassemaxima in größeren Tiefen auf. Die jahreszeitlichen Änderungen fallen aber in der Tiefe verhältnismäßig gering aus. Im ozeanischen Bereich des östlichen Weddellmeeres variiert die Gesamtbiomasse der calanoiden Copepoden der oberen 1000 m saisonal zwischen 1,2 g C m-2 (Oktober/ November) und 3,1 g C m-2 (April/Mai).Die calanoide Copepodengemeinschaft des östlichen Weddellmeeres zeichnet sich durch die Dominanz weniger Arten aus. Die fünf häufigsten Arten, Microcalanus pygmaeus, Ctenocalanus citer, Metridia gerlachei, Calanoides acutus und Calanus propinquus, stellen 96% der Gesamtindividuenzahl und 86% der Gesamtbiomasse. Bei weitem am häufigsten im östlichen Weddellmeer ist M. pygmaeus. Diese kleine clausocalanide Art erreicht zwei Drittel der Gesamtzahl aller calanoiden Copepoden, und sie stellt im Jahresmittel 14% der Biomasse. Die ausgeprägte Dominanz weniger Arten führt zu niedrigen Diversitätswerten, die unter 2 betragen.Die fünf dominanten Copepodenarten haben sehr unterschiedliche Anpas-sungen an die starke Saisonalität der Eisbedeckung und der Primärproduktion entwickelt. Calanoides acutus überwintert in einer Diapause mit stark redu-ziertem Stoffwechsel in größeren Wassertiefen unterhalb von 500 m. Späte Cope-poditstadien (CIV-CV) dominieren die Population. Im Spätwinter entwickeln sich die CV-Stadien zu adulten Tieren. Männchen kommen nur im Spät-winter/Frühjahr in größeren Tiefen vor. Dort findet die Kopulation statt. Nach der Begattung sterben die Männchen, die nur reduzierte Mundwerkzeuge be-sitzen. Befruchtete Weibchen steigen mit Beginn der Meereisschmelze Mitte November an die Oberfläche und legen dort die Eier ab. Dieser Aufstieg in obere Wasserschichten geht einher mit erhöhten Respirationsraten und aktivem Schwimmverhalten. Im Sommer ist die Population in den oberflächennahen Wasserschichten konzentriert, und eine neue Generation wächst heran. Die Reproduktion findet vom Frühjahr (November) bis zum Spätsommer (Januar/Februar) statt. Die höchste Eiproduktion tritt zur Zeit der höchsten Phytoplanktonbiomassen im Dezember und Januar auf. In der produktions-reichen Zeit ernährt sich diese Art von Phyto- und Protozooplankton. Besonders ältere Stadien akkumulieren in dieser Zeit große Lipidreserven in Form von Wachsestern. Im Herbst wandern die Tiere wieder in tiefere Wasserschichten. Die wenigen vorkommenden Weibchen sind abgelaicht, besitzen einen hohen Lipidgehalt und überleben wahrscheinlich einen zweiten Winter.Ein Teil der Calanus propinquus-Population überwintert in Tiefen unterhalb von 200 m, der andere Teil der Population bleibt dagegen auch im Winter in der Oberflächenschicht. Das Copepoditstadium CIII stellt während dieser Zeit den größten Anteil an der Population. Im Spätwinter/frühen Frühjahr entwickeln sich die Tiere zum CV- bzw. Adultstadium. Das Auftreten einiger CI-Copepodite Mitte Dezember deutet bereits auf einen frühen Reproduktionsbeginn, wahr-scheinlich im September/Oktober. Im Sommer (Januar/Februar) wird die Popu-lation von CI-Individuen der neuen Generation dominiert. Dies deutet darauf hin, daß die Hauptreproduktionszeit Ende Dezember/Anfang Januar liegt, zur Zeit der höchsten Phytoplanktonproduktion. Im Sommer ist die Population in den oberen Wasserschichten konzentriert, wo die Tiere fressen, wachsen und Lipidreserven anlegen. Diese Art speichert große Mengen an Triacylglyzerinen, was auf eine ganzjährige Nahrungsaufnahme schließen läßt. Im Februar besitzen die meisten Weibchen abgelaichte Gonaden. Die Reproduktion findet demnach von September/Oktober bis Februar statt. Einige Weibchen scheinen bis zum Herbst ihre Lipide wieder aufzufüllen, einen weiteren Winter zu überleben und ein zweites Mal zu laichen.Das Hauptverbreitungsgebiet von Metridia gerlachei liegt in mittleren Wasser-tiefen. Diese Art kommt zu keiner Zeit in größten Konzentrationen nahe der Oberfläche vor. Ihre mittlere Aufenthaltstiefe ist aber auf ozeanischen Stationen im Sommer signifikant höher als im Spätwinter/Frühjahr und Herbst. Im östlichen Weddellmeer kommen bereits im Oktober Eier und Nauplien vor. Außerdem besitzen Mitte Oktober 35% Weibchen reife Gonaden und 1% sind abgelaicht. Junge Copepoditstadien (CI und CII) spielen in der Population die größte Bedeutung vor allem im Sommer und im Herbst. In allen Monaten kommen adulte Tiere und alle Copepoditstadien vor. Dies deutet darauf hin, daß die Weibchen wahrscheinlich das ganze Jahr über reproduzieren. Die Hauptreproduktionsphase liegt jedoch im Früh- bis Spätsommer. M. gerlachei frißt effektiv Phytoplankton, aber auch Proto- und Metazooplankton. Haupt-speicherlipide sind neben Wachsestern auch Triacylglyzerine. Der Gesamt-lipidgehalt ist allerdings verhältnismäßig gering. Diese Art scheint das ganze Jahr über aktiv zu sein.Die häufigste Art, Microcalanus pygmaeus, zeigt eine relativ gleichbleibende Abundanz über das ganze Jahr. Diese Art ist nie in oberen Wasserschichten kon-zentriert. Die mittlere Vertikaltiefe der Population liegt im Bereich der Thermo-klinen, im Sommer in Wassertiefen um 200 m, von Herbst bis Frühjahr unter 400 m. Die Populationsstruktur ist über das Jahr verhältnismäßig konstant, und alle Copepoditstadien sowie Männchen und Weibchen sind immer vorhanden. Das mittlere Populationsstadium ist im Spätwinter und Herbst etwa ein Copepoditstadium jünger als im Sommer. Die jungen Copepodite (CI-CIII) haben ihre höchsten Konzentrationen vom Winter bis zum Frühjahr und im Herbst. Der Anteil reifer Weibchen, die das ganze Jahr über vorkommen, ist im Sommer und im Herbst am höchsten. Die Ergebnisse deuten auf ständige Reproduktion und Wachstum hin mit Maxima im Sommer und im Herbst/frühen Winter. M. pygmaeus gilt als eine Art, die sich hauptsächlich von Phytoplankton ernährt. Die Zusammensetzung der Fettsäuren läßt dagegen auf eine mehr omnivore Ernährung schließen. Wahrscheinlich frißt diese Art neben herabsinkendem Phytoplankton auch heterotrophe Flagellaten, Protozoen und Detritus.Das Hauptvorkommen von Ctenocalanus citer liegt im Winter ebenfalls in tieferen Wasserschichten als im Sommer. In allen Untersuchungszeiträumen kommen alle Entwicklungsstadien vor, mit Ausnahme der Männchen, die Ende April fehlen. Die Zusammensetzung der Entwicklungsstadien weist aber deut-liche saisonale Unterschiede auf. Der Anteil der Weibchen mit reifen Gonaden erhöht sich von Mitte Oktober bis Mitte November von 10% auf 40%. Einige Weibchen sind zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaicht, was auf eine Reproduk-tion im Spätwinter vor der Frühjahrsblüte hindeutet. Dies wird durch die hohen Abundanzen von CI-Individuen Mitte Dezember im offenen Ozean belegt. Im Oktober hatten viele Weibchen aus den oberen 50 m des eisbedeckten östlichen Weddellmeeres Nahrung in den Mägen, hauptsächlich die für Eisgemein-schaften typischen pennaten Diatomeen. Wahrscheinlich besteht die Nahrung im Winter/Frühjahr dicht unter dem Meereis hauptsächlich aus Eisalgen, wäh-rend die tiefer lebenden Individuen herabsinkendes organisches Material und Protozoen aufnehmen. Die starke Zunahme junger Stadien, reifer und abge-laichter Weibchen sowie das maximale Vorkommen in oberflächennahem Was-ser im Sommer und Herbst deuten darauf hin, daß der Reproduktionserfolg mit dem Phytoplanktonangebot im Frühjahr gekoppelt ist.Die für polare Copepoden charakteristische Überwinterung im Diapause-Stadium in größeren Wassertiefen konnte nur bei einer Art, Calanoides acutus, eindeutig nachgewiesen werden. Die anderen vier dominanten calanoiden Copepoden haben wahrscheinlich kein Diapause-Stadium. Sie sind offensichtlich auch im Winter aktiv und stellen ihre Ernährung um. Im Frühjahr-Sommer fressen sie Phytoplankton, im Herbst und Winter nehmen sie dagegen vorwiegend tierische Nahrung (Calanus propinquus, Metridia gerlachei), aus dem Meereis sedimentierende Eisalgen (Ctenocalanus citer) oder absinkende Eis-organismen und Aggregate (Microcalanus pygmaeus) auf. Jede Art hat ihre spezifische Strategie entwickelt. Sie vermeiden somit eine interspezifische Kon-kurrenz in der dunklen Jahreszeit, wenn die Nahrungsressourcen stark limitiert sind. Übereinstimmend reproduzieren alle fünf dominanten Arten schon vor der Frühjahrsblüte, und sie beziehen die Energie für die Gonadenreifung und Eiablage vermutlich aus internen Reservestoffe. Der Lebenszyklus aller fünf Arten ist im östlichen Weddellmeer einjährig. Jedoch scheinen einige Weibchen der großen Arten C. acutus und C. propinquus nach der Reproduktionsphase im Spätsommer in der Lage zu sein, ihre Lipidreserven wieder aufzufüllen, erneut zu überwintern und ein zweites Mal zu laichen.SummaryThis study describes the calanoid copepod community of the eastern Weddell Sea. The material was sampled during five expeditions of RV "Polarstern" in winter (July/August 1986), late winter/early spring (October/November 1986), spring (December 1992), summer (January/February 1985) and autumn (April/ May 1992). Seasonal differences with respect to abundance, biomass, vertical distribution, number of species, diversity and evenness as well as life cycle strategies of the dominant species are presented and discussed.Sixty five calanoid species belonging to 41 genera and 19 families were identified, five more could not be identified to species level. Three deep-sea species (Mimo-calanus nudus, Pachyptilus pacificus, Teneriforma meteorae) and two genera (Disco, Temoropia) were found for the first time in the Southern Ocean. The distribution of most species is widespread. Only 18 species are typical for the Antarctic and Subantarctic. Herbivorous and omnivorous species dominate and account for 99% in abundance and 81% in biomass.Abundance, biomass, composition and vertical distribution of calanoid species in the eastern Weddell Sea show distinct seasonal differences. Most species occur at maximum abundances during summer and in the upper water column. Only a few species are found in the surface layer, where abundance and biomass exhibit pronounced seasonal variations with maxima between spring and autumn. Highest species diversity is found in deeper waters due to the occurrence of widespread deep-sea species. In winter, abundance and biomass maxima are encountered in deeper layers. Seasonal differences at depth are, however, relatively small. In the oceanic sector of the eastern Weddell Sea the total biomass of calanoid copepods varies between 1.2 g C m-2 (October/November) and 3.1 g C m-2 (April/May) in the upper 1000 m of the water column.The calanoid copepod community of the eastern Weddell Sea is characterised by the dominance of only a few species. Calanoides acutus, Calanus propinquus, Metridia gerlachei, Microcalanus pygmaeus and Ctenocalanus citer account for 96% of all individuals and 86% of total calanoid biomass. By far the most abundant copepod in the eastern Weddell Sea is the small clausocalanid species M. pygmaeus, which numerically attains two-thirds of all calanoid copepods and 14% of the annual mean biomass. Due to the pronounced dominance of only a few species the diversity is low and always below 2.The five dominant copepod species have developed different adaptations to the distinct seasonality of ice cover and primary production. Calanoides acutus over-winters in diapause with strongly reduced metabolic rates at depth below 500 m. Late copepodite stages (CIV-CV) dominate the population. In late winter CV develop to adults. Males occur only in late winter/early spring at depth where mating takes place. These males have reduced mouthparts and die after mating. In mid-November with the onset of ice melting, fertilised females migrate to the surface to spawn. Their ascent coincides with an increase in respiration and swimming activity. The summer population is concentrated in the upper water layers where a new generation develops. Reproduction appears to begin in spring (November) and continues until late summer (January) with highest egg production in December and January. This coincides with high phytoplankton biomass. During the productive season, this species feeds on phytoplankton and protozooplankton, when the older stages accumulate large lipid reserves in form of wax esters. In autumn this species returns to deeper water layers. Only a few females are found. They have spent gonads, high lipid levels and they seem to re-enter diapause during winter and re-spawn in spring.One portion of the Calanus propinquus population overwinters below 200 m, while the other remains at the surface even during winter. Copepodite stage CIII form the bulk of the population in winter. In late winter/early spring the animals develop to CV and adults. The occurrence of the youngest copepodite stage (CI) in mid December indicates an early reproductive start, probably in September/October. The main reproductive period seems to be in late December/early January, the time of highest phytoplankton production. In summer the population is concentrated at the surface where the animals feed, grow and accumulate lipid reserves. This species stores large amounts of triacyl-glycerols which suggests continuous feeding. In February most females are spent. Thus, reproduction occurs from September/October until February. Some of the females seem to replenish their lipid deposits after reproduction, to overwinter and to spawn a second time.Metridia gerlachei was never encountered in maximum numbers at the surface. The bulk of the population is concentrated in mid-water layers. In summer the mean depth of occurrence is significantly higher in the open ocean as compared to late winter/spring and autumn. In the eastern Weddell Sea first eggs and nauplii occur as early as October, when 35% of the females are ripe and 1% spent. Young copepodite stages (CI und CII) dominate in summer and autumn. All developmental stages occur during all sampling periods. This could reflect year-round reproduction. The major reproductive period seems to extend from early to late summer. M. gerlachei feeds efficiently on phytoplankton but also on protozoans and metazoans, and accumulates wax esters but also triacylglycerols. However, their lipid levels in the eastern Weddell Sea are usually moderate. This species seems to be active year-round.The seasonal variation in stock of the most abundant species, Microcalanus pygmaeus, is relatively small. It never occurs in highest abundances in upper water layers, the mean depth of the population is around 200 m in summer and below 400 m from autumn to spring. The population structure is relatively constant, and a
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